Doreen Urban-Kern
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Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass ich von mir selbst sage, dass ich anders bin. Und dass ich manchmal gewisse Dinge nicht so leisten kann, wie vielleicht erwartet oder gewünscht wird.
Die Kita-Kinder wissen teilweise von meinen Beeinträchtigungen und sagen, ich sei anders.
Unsere Kita ist ein bisschen anders, was allen Kindern zugutekommt.
Ich bin Erzieherin und Leiterin in einer Kita. Inklusion betrifft mich insofern persönlich, als ich nicht alles hören und verstehen kann. Darüber hinaus betrifft mich Inklusion in der Familie, im Ehrenamt und natürlich bei meiner Arbeit als Kita-Leiterin.
Die Kita-Kinder wissen teilweise von meinen Beeinträchtigungen und sagen, ich sei anders. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass ich von mir selbst sage, dass ich anders bin. Und dass ich manchmal gewisse Dinge nicht so leisten kann, wie es vielleicht erwartet oder gewünscht wird. Gerade das deutliche, klare, laute Sprechen ist mir sehr wichtig, um auch immer klare Strukturen im Kopf zu haben.
Ich finde Inklusion sehr wichtig, denn wenn wir alle Menschen mit- und wahrnehmen, wie sie sind, haben wir als Gesellschaft eine größere, lautere Stimme – wir sind viel mehr Menschen. Und es gibt sehr viele Menschen, die trotz ihrer Beeinträchtigung das Leben in der Gesellschaft bereichern, und die auch ein Recht dazu haben.
Wir haben hier im Ortsteil Leubnitz der Stadt Werdau mit der „Kinderstube“ eine sehr kleine Kita. Eltern von Kindern mit Förderbedarf können hier Betreuung wahrnehmen. Doch auch wenn keine Diagnostik vorliegt, integrieren wir das Kind nach bestem Wissen und Gewissen und mit allen Maßnahmen, die ich in meiner Ausbildung erworben habe. Mithilfe dieser Ansätze begleiten wir die Kinder, bringen ihnen Fähigkeiten und Fertigkeiten bei, um ihre Selbstständigkeit zu fördern. Denn das sind die optimalen Bedingungen für ihre Schulzeit sowie für das spätere Leben, in dem sie möglichst viel selbst tun können sollen. In dieser Beziehung ist unsere Kita ein bisschen anders, was allen Kindern zugutekommt. Sie respektieren und helfen einander, und ich lasse sie bewusst zusammenarbeiten.
Natürlich habe ich den Wunsch, dass Inklusion in der Gesellschaft ankommt. Aktuell besteht die Herausforderung darin, uns nicht gegenseitig zu behindern. Das heißt konkret, dass wir den Blick nach vorn richten und zum Beispiel das Thema Digitalisierung weiterdenken müssen. Umso wichtiger ist es, Menschen mit kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen bei der Digitalisierung so mitzunehmen, dass sie es auch verstehen können.
Interview geführt am: 14. März 2019
Mein Name ist Doreen Urban-Kern. Ich bin 45 Jahre alt, Mutter dreier Kinder, Ehefrau und Erzieherin bzw. Leiterin in einer Kita. Inklusion betrifft mich insofern persönlich, weil ich nicht alles hören und verstehen kann. Darüber hinaus betrifft mich Inklusion in der Familie, im Ehrenamt und natürlich bei meiner Arbeit als Kita-Leiterin.
Die Kita-Kinder wissen teilweise von meinen Beeinträchtigungen und sagen, ich sei anders. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass ich von mir selbst sage, dass ich anders bin. Und dass ich manchmal gewisse Dinge nicht so leisten kann, wie vielleicht erwartet oder gewünscht wird. Die Kinder wissen, dass ich manchmal sage: „Ich kann nicht alles verstehen.“ Und dieser Satz ist auch zu Hause durchaus an der Tagesordnung. Die Kinder signalisieren mir dann, dass gewisse Dinge, die ihre Eltern, Geschwister oder auch andere Menschen gesagt haben, nicht von mir verstanden werden konnten – weil die Wörter mir nicht bekannt sind oder weil jemand nicht deutlich genug gesprochen hat. Gerade das deutliche, klare, laute Sprechen ist mir sehr wichtig, um auch immer klare Strukturen im Kopf zu haben.
Ich finde Inklusion sehr wichtig, denn wenn wir alle Menschen mit- und wahrnehmen, wie sie sind, haben wir als Gesellschaft eine größere, lautere Stimme – wir sind viel mehr Menschen. Und es gibt sehr viele Menschen, die trotz ihrer Beeinträchtigung das Leben in der Gesellschaft bereichern, und die auch ein Recht dazu haben.
Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass Inklusionsthemen in der Schule erst einmal auf Erstaunen treffen. Trotzdem war es mir möglich, mein mittleres Kind mit einer etwas besonderen Diagnose (Kleinwuchs) im Rahmen der Gehbehinderung zur Schule zu schicken. In der Schule brauchte mein Kind andere Sitzmöglichkeiten und durfte nicht zu großem Stress ausgesetzt werden, weil davon auch die biologische und Lebenssituationen abhängig sind. Wenn die Hypophyse merkt, dass das Kind geschafft ist, dann wächst es nicht mehr – wir mussten also alles dafür tun, dass die Hypophyse gut stimuliert ist. Ich bin dafür dankbar, dass unser Kind zu einem späteren Zeitpunkt dann doch gut gewachsen ist, auch ohne Hormone. Sie hat auch ein sehr gutes Abitur gemacht und ist jetzt auf einem sehr guten Weg. Und trotz aller Schwierigkeiten möchte ich die Zeit nicht missen, denn sie hat mich und unser Kind gestärkt. Ich denke immer wieder, wie wichtig es ist, gestärkt aus Lebensabschnitten herauszugehen, nach vorn zu schauen, und nicht in Trübsal oder Traurigkeit zu vereinsamen.
Eine weitere bemerkenswerte Situation beobachte ich im Kindergartenalltag, wenn Eltern ihr Kind im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts bei uns betreut wissen möchten. Wir haben hier im Ortsteil Leubnitz der Stadt Werdau mit der „Kinderstube“ eine sehr kleine Kita. Eltern von Kindern mit Förderbedarf können hier Betreuung wahrnehmen. Der Förderbedarf kann extern durch Fördereinrichtungen stattfinden. Doch auch wenn keine Diagnostik vorliegt, integrieren wir das Kind nach bestem Wissen und Gewissen und mit allen Maßnahmen, die ich in meiner Ausbildung erworben habe. Kinder können hier also die Bildung, das Wissen, und die Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die ihnen möglich sind. Die Kinderstube selbst ist offiziell nicht integrativ, aber im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts können Eltern ihre Kinder trotzdem anmelden. Wir arbeiten nach Montessori-Pädagogik und berücksichtigen die Erkenntnisse von Gustav Peter Hahn, Gerald Hüther sowie von Manfred Spitzer und Otto Herz. Mithilfe dieser Ansätze begleiten wir die Kinder, bringen ihnen nach bestem Wissen und Gewissen Fähigkeiten und Fertigkeiten bei, um ihre Selbstständigkeit zu fördern. Denn das sind die optimalen Bedingungen für ihre Schulzeit sowie für das spätere Leben, in dem sie möglichst viel selbst tun können sollen. In dieser Beziehung ist unsere Kita ein bisschen anders, was allen Kindern zugutekommt. Sie respektieren und helfen einander, und ich lasse sie bewusst zusammenarbeiten. So tauchen gar nicht erst Probleme damit auf, dass ein Kind zum Beispiel feinmotorisch noch nicht so weit entwickelt ist und eine Schere noch nicht halten kann, obwohl ein Vorschulkind in der Schuleingangsphase es eigentlich können sollte. Es ist für die Kinder auch nicht so schlimm, wenn ein Kind viel älter ist, als in der Vorschulphase üblich ist. Durch die Gruppenaktivitäten bleibt auch der ständige Kontakt mit Kindern erhalten, die aufgrund der wenig entwickelten Muskelspannung sprachlich beeinträchtigt sind. Alle Kinder betreiben Konversation, sind beieinander und begleiten sich im Kindergartenalltag. Die Eltern genießen in der Kita auch die Transparenz: Drei- bis viermal im Jahr führen wir Einzel-Elterngespräche durch, und dreimal im Jahr veranstalten wir große Elterngesprächsrunden. Hier teilen wir mit, was wir in der Kita machen und was wir in Zukunft vorhaben, sodass alle wissen, was gestaltet wird.
Ich bemerke, dass Kinder, die eine Beeinträchtigung in der Wahrnehmung haben und wissen, dass sie mehr Fürsorge, mehr Streicheleinheiten brauchen, sich diese Fürsorge auch von mir holen. Die Kinder nehmen das auch selbst wahr. Diese Tatsache stört nicht, aber ich muss natürlich darauf achten, ein gutes Mittelmaß zu finden, und niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Ein Kind, das Schwierigkeiten mit der Muskelspannung oder im kognitiven Bereich hat, braucht eben Hilfe beim An- und Ausziehen. Einem solchen Kind muss ich etliche Male sagen, wo die Jacke und die Mütze hinkommen, dass es auf seine eigenen Sachen achten und sie ins richtige Fach packen soll, um sie später auch wiederzufinden. So bedingen sich äußere Strukturen und innere Strukturen gegenseitig. Und wenn Kinder das stetig lernen, können sie es später immer wieder anwenden. Denn sie müssen später ja auch abrufen können, wo man sein Wissen herholt.
Natürlich habe ich den Wunsch, dass Inklusion in der Gesellschaft ankommt. Wenn Jugendliche die Schule abschließen und in eine Ausbildung oder ein Studium gehen, ist es nicht unbedingt schlimm, wenn sie eine Beeinträchtigung haben. Wichtig ist, dass die Jugendlichen um ihre Beeinträchtigung wissen und die Gesellschaft um Mittel und Möglichkeiten, die Jugendlichen zu unterstützen, sei es durch Nachteilsausgleich, durch erneute Fördermaßnahmen oder anderes. Dafür gibt es ja auch die Reha und Integrationsbeauftragte. Ich denke, ganz vielen Jugendlichen kann es dann gelingen, trotz ihrer Beeinträchtigung im gesellschaftlichen Leben Fuß zu fassen, sowohl beruflich als auch privat in der Familie. Gerade im Freistaat Sachsen war man ja schon immer bestrebt, Kinder in die Schule zu integrieren und dann Jugendliche in eine Werkstatt für Behinderte zu integrieren, sei es über die Lebenshilfe oder Diakonien. Es wurde natürlich immer versucht, sie in den Arbeitsprozess mitzunehmen und dadurch Teilhabe zu ermöglichen. Das ist unwahrscheinlich positiv, wenn ein junger Mensch sagen kann: „Ich bin einer der Zuarbeiter für VW in Mosel/Zwickau.“ Oder: „Ich bin Zuarbeiter für einen Tischler; ich schneide Teile zurecht, damit der Tischler daraus filigrane Elemente machen kann.“ Das muss natürlich wachsen. Aktuell besteht die Herausforderung darin, uns nicht gegenseitig zu behindern. Das heißt konkret, dass wir den Blick nach vorn richten und zum Beispiel das Thema Digitalisierung weiterdenken müssen. Da braucht es zwar Mechanismen, die ihrer Zeit voraus sind, aber sie sollten uns trotzdem alle mitnehmen. Mich persönlich muss man bei der Digitalisierung auch mitnehmen. Umso wichtiger ist es, Menschen mit kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen bei der Digitalisierung so mitzunehmen, dass sie es auch verstehen können. Der feinmotorische Umgang mit technischen Geräten wie Handy, Laptop, Computer umgibt Kinder mit und ohne Beeinträchtigung tagtäglich. Sie sehen ihre Familie und Freunde damit arbeiten und wollen das selbst auch tun. Das ist die Matrix, der eigene Bauplan eines Kindes, egal, ob es beeinträchtigt ist oder nicht. Es ist wichtig, dass jedes Kind den eigenen Bauplan so abarbeiten und gestalten kann, dass es ihm guttut und natürlich die Gesellschaft stärkt.
Ich bin auch Vorsitzende des Kreiselternrates Zwickau. Hier haben immer viele besorgte Eltern, was das Thema Schule angeht. Im Freistaat Sachsen gibt es viele verschiedene Schulformen. Da ist es gut, dass Eltern kommen und von ihren Erfahrungen mit der sogenannten „E-Schule“, mit der Lernbehinderten-Schule oder der Sprachschule berichten. Viele können positive Erfahrungen teilen. Es gibt im Freistaat die Möglichkeit, auch auf besonderen Schulen, die unter die Kategorie Förderschule fallen, einen Hauptschulabschluss bzw. einen qualifizierten Hauptschulabschluss, einen Realschulabschluss und/oder sogar einen sozialpädagogischen Abschluss zu machen. Unser Schulsystem lässt da viele Möglichkeiten zu, womit die Eltern und ich selbst zufrieden sind. Natürlich gibt es hier und da mal Schwierigkeiten, weil jedes Kind individuelle Beeinträchtigung(en) hat. Aber die Teilhabe, die Partizipation muss im Fokus stehen. Das ist besonders in der heutigen globalen Gesellschaft sehr wichtig für die Kinder und Jugendlichen.
Ich bin Ansprechpartnerin für die Eltern. Sie können mich jeden Abend telefonisch erreichen, ich treffe mich mit den Eltern in Ausschüssen, zu Elternratssitzungen. Aber ich bin auch für die Kinder da. Wenn die Kinder und Jugendlichen selbst ein Problem haben, können sie mich anrufen. Dann versuche ich mit allen Möglichkeiten, eine Lösung zu finden, mit der alle einverstanden sind. Das Angebot wird auch vielfach genutzt. Erst kürzlich hatten Eltern in einer Grundschule ein bestimmtes Anliegen, das aus unklaren Gründen nicht verwirklicht werden konnte. Da haben die Eltern mich kontaktiert und gebeten, zu vermitteln. So waren durch den Schulträger ganz viele Wege offen und es konnte Abhilfe geschaffen werden. Im Sommer wird unser nächstes großes Thema Digitalisierung sein: Wie wird der Freistaat das Digitalpaket umsetzen? Was möchte die Regierung? Was ist nun geplant, nachdem es erst verneint wurde? Ich glaube, da ist man auf einem guten Weg.
Neben dem Kreiselternrat bin ich im Landeselternrat und Bundeselternrat. Im Landeselternrat haben wir noch den FKE-Ausschuss. Dieser beschäftigt sich mit der Förderung von Kindern mit Entwicklungsbesonderheiten. Im Landeselternrat stehen wir über die Kreisgrenzen hinaus in Kontakt und schauen, wie wir Eltern, Kinder, und Jugendliche optimal unterstützen können. Das betrifft auch die Personen, die eine Beeinträchtigung erst erworben haben. Das ist eine besondere Situation und es bedarf hier der Unterstützung von außen, damit die Eltern sich nicht allein gelassen fühlen. Im Bundeselternrat sind alle Bundesländer vertreten. Da gibt es Fachtagungen und Jahrestagungen, zu denen wir uns austauschen. Dort werden immer aktuelle Themen aufgegriffen, und das Thema Inklusion steht und stand auch vor längerer Zeit schon im Fokus. Es geht darum, uns nicht gegenseitig zu behindern, sondern voneinander, das heißt länderübergreifend, zu lernen. Viele Bundesländer haben schon eine gute Ausrichtung und konkrete Ziele, andere müssen da ein Stück aufholen und schauen, was sie umsetzen können. Bildung ist in Deutschland Länderhoheit, das heißt, in Bildungsangelegenheiten hat jedes Bundesland seine eigene Struktur. Trotzdem sollten wir versuchen, uns miteinander abzustimmen. Inklusion betrifft jede behinderte Person, egal, ob sie in Hamburg oder in Zwickau ist. Wenn ein Mensch sich nicht in der Stadt fortbewegen kann, weil er blind ist, dann müssen helfende Strukturen geschaffen werden. Mit einer Hörbeeinträchtigung hoffe ich einfach, dass mir immer geholfen wird, egal, ob ich in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen lebe. Und gerade in meinem Fall sieht man die Beeinträchtigung ja auch nicht.
Interview geführt am: 14. März 2019
Hallo.
Ich bin Doreen Urban-Kern aus Werdau.
Ich bin Erzieherin.
Und ich leite eine Kita.
Kita ist die Abkürzung für Kinder-Tages-Stätte.
Dort werden kleine Kinder tagsüber betreut.
Ich kann nicht alles hören und verstehen.
Darum ist Inklusion in vielen Bereichen wichtig für mich:
- in der Kita
- in der Familie
- in der ehren-amtlichen Arbeit
Manche Kinder finden:
Ich bin anders.
Ich sage das ja auch selbst.
Manchmal leiste ich weniger als andere von mir erwarten.
Mir ist wichtig:
Klares, lautes Sprechen.
Und klare Strukturen.
Inklusion ist ein wichtiges Thema.
Wenn alle Menschen so sein können wie sie sind:
Dann haben wir als Gesellschaft eine lautere Stimme.
Wir können mehr bewirken.
Viele Menschen mit Beeinträchtigung bereichern das Leben.
Unsere Kita heißt Kinder-Stube.
Sie ist sehr klein.
Sie ist in Leubnitz.
Das ist ein Stadt-Teil von Werdau.
Wir betreuen Kinder mit Förder-Bedarf.
Wir integrieren die Kinder so gut wie möglich.
So wie ich es in meiner Ausbildung gelernt habe.
Wir begleiten die Kinder.
Und wir fördern sie.
So sind sie gut vorbereitet für die Schule.
Und das spätere Leben.
Damit sie möglichst viel selbst tun können.
Das macht unsere Kita ein wenig anders.
Und das ist für alle Kinder gut.
Sie respektieren einander.
Und helfen sich gegen-seitig.
Ich wünsche mir:
- dass Inklusion in der Gesellschaft ankommt
- dass wir uns gegenseitig unterstützen
- dass digitale Medien auch für Menschen mit Beeinträchtigung verständlich sind
Das Gespräch war am 14. März 2019.
Doreen Urban-Kern
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):