Susann Lawrenz-Wuttke
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Mein Leben ist vielleicht nicht normal, beziehungsweise bei uns ist normal anders. Man muss sich nur organisieren und das Beste daraus machen.
Dass Pflege arm macht, ist nicht so daher gesagt, es ist wirklich so.
Ich möchte mit dem Interview erreichen, dass mehr pflegende Angehörige aufstehen und sich zeigen und sagen was sie brauchen.
Ich bin pflegende Angehörige. Unser Elias ist sieben Jahre alt, seit Geburt mehrfach schwerstbehindert. Er kam gesund zur Welt, aber 48 Stunden nach der Geburt entwickelte Elias eine Neugeborenen-Sepsis. Durch die Sepsis hatte er Wassereinlagerungen, unter anderem auch im Gehirn. In den ersten Monaten hat er sich ganz normal entwickelt. Das war unerklärlich, aber uns hat es gefreut. Dann kam aber mit fünf Monaten die Epilepsie, die sehr stark war. Insgesamt hat sich die Hirnschädigung so ausgewirkt, dass er auf dem Stand eines fünf Monate alten Babys geblieben ist. Er ist vollkommen pflegebedürftig. Ich kenne natürlich Eltern, die trauern der Normalität vollkommen hinterher. Aber wenn ich meine Zeit nur mit dem Trauern verschwende, dann entgeht mir so vieles anderes. Mein Leben ist vielleicht nicht normal, beziehungsweise bei uns ist normal anders. Man muss sich nur organisieren und das Beste daraus machen.
Wir haben im Monat 100 Stunden Krankenbeobachtung von der Krankenkasse genehmigt bekommen. Um die neue Verordnung kämpfen wir gerade noch. Da gibt es jedes Jahr Spektakel. Wenn ein Kind beatmungspflichtig ist, dann zuckt die Krankenkasse nicht. Aber wenn ein Kind absaugungspflichtig und überwachungspflichtig ist, dann murren sie manchmal. Alle, die kranke Angehörige pflegen, brauchen die Pflegedienste. Es ist auch berechtigt, dass gesagt wird, die Pflegedienste verdienen zu wenig. Aber ich sage auch, die Pflegedienste haben nach Feierabend frei, die haben ihre Freizeit, die können zu Hause abschalten. Den gleichen Job mache ich 24 Stunden am Tag und kann nicht abschalten oder Feierabend machen. Ich bekomme aber nur das Pflegegeld, was bei weitem nicht an das Geld herankommt, was Pflegedienste bekommen. Gott sei Dank haben wir den Pflegedienst und wir sind darauf sehr angewiesen. Aber die pflegenden Angehörigen werden total vergessen.
Dass Pflege arm macht, ist nicht so daher gesagt, es ist wirklich so. Ich möchte mit dem Interview erreichen, dass mehr pflegende Angehörige aufstehen und sich zeigen und sagen, was sie brauchen. Mir persönlich geht es gut, das kann ich trotzdem sagen. Wir lachen viel und wir schätzen die kleinen Dinge des Lebens vielmehr. Es gibt aber viele Probleme und viele Hindernisse, die gelöst werden müssen.
Interview geführt am: 28. Mai 2020
Ich tue mich immer schwer damit, die Probleme aufzuzeigen, die es gibt, denn die Dinge sind so, wie sie sind. Ich versuche immer, das Beste daraus zu machen. Auf Elias‘ Facebook-Seite werden sie keine Jammer-Posts finden. Aber je länger man pflegt, desto mehr sieht man auch die Probleme.
Mein Name ist Susann Lawrenz-Wuttke. Ich bin pflegende Angehörige. Unser Elias ist sieben Jahre alt, seit Geburt mehrfach schwerstbehindert. Er kam gesund zur Welt, die Schwangerschaft war auch völlig okay. Es gab keine Auffälligkeiten, die Geburt war auch super. Er hatte beim Test zehn von zehn Punkten, mehr konnte man nicht erwarten. Aber es war auch gut, dass er so gesund und kräftig auf die Welt kam, weil er 48 Stunden nach der Geburt plötzlich ganz hohes Fieber bekam. Er hatte eine Neugeborenen-Sepsis. Innerhalb von einer halben Stunde ging das Fieber auf 42 Grad Celsius. Elias wurde sofort ins Koma versetzt. Der Medizinschrank wurde aufgemacht und quasi alles gegeben, was da drin war. Deshalb konnte man im Nachhinein auch nicht mehr herausfinden, welche Ursache die Sepsis hatte, oder welche Bakterien die Sepsis ausgelöst hatten. Sepsis bedeutet Blutvergiftung. Er hatte aber keine Wunde oder so etwas.
Wir haben damals noch in Kitzscher gewohnt und schräg gegenüber von unserem Wohnhaus war das Geburtshaus. Ich war regelmäßig bei meiner Hebamme, ich war regelmäßig beim Frauenarzt. Weil alles so optimal war, haben wir uns für eine Geburt im Geburtshaus entschieden. Das hat auch alles super funktioniert, die Hebamme war zweimal täglich da und Freitag ist er dann zur Welt gekommen. Sonntagnachmittag wurde er langsam unruhig. Ich habe auch noch zwei große Kinder, ich bin also recht erfahren. Ich dachte, er hat langsam Hunger und er braucht ja sicherlich jetzt auch seine Milch. Doch dann bekam er plötzlich das Fieber. Mit einem Mal ist das Fieber richtig schlimm geworden. Man konnte im Nachhinein dann Bakterien im Urin von Elias feststellen. Er hatte aber keinen Tee oder irgendetwas von mir bekommen. Solange Elias bei mir im Mutterleib war, wurde er durch meinen Blutkreislauf geschützt. Aber 48 Stunden nach seiner Geburt aktivierte sich sein Blutkreislauf, und dann sind die Bakterien anscheinend durchgelaufen. Es konnte nicht nachgewiesen werden, aber eventuell sind durch mein Fruchtwasser oder mein Blut diese Bakterien in seinen Blutkreislauf gelangt. Durch die Sepsis hatte er Wassereinlagerungen, unter anderem auch im Gehirn. Und durch diese Wassereinlagerungen kam kein Sauerstoff mehr im Gehirn an. Dadurch hat Elias Hirnschädigungen erlitten. Er hatte eine starke Hirnatrophie. Das heißt, im ersten Jahr hat das Gehirn stark abgenommen. Komischerweise hat er sich in den ersten Monaten ganz normal entwickelt. Das war unerklärlich, aber uns hat es gefreut. Dann kam aber mit fünf Monaten die Epilepsie, die sehr stark war. Insgesamt hat sich die Hirnschädigung so ausgewirkt, dass er auf dem Stand eines fünf Monate alten Babys geblieben ist. Und das mit sieben Jahren. Er ist vollkommen pflegebedürftig.
Momentan haben wir die Epilepsie relativ gut im Griff. Die Epilepsie sind diese kleinen Zuckungen, die er hat. Das sind alles Anfälle. Bis er zwei Jahre alt war, hatte er zum Beispiel keinen ordentlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Er hat tagsüber zwei Stunden geschlafen und war dann wach. Und nachts hat er maximal drei Stunden geschlafen. Dann hat er zwischendurch immer wieder Anfälle gehabt. Wie ich diese Zeit überstanden habe, ist mir bis heute ein Rätsel. Man funktioniert, man hofft, dass es ein neues Medikament gibt, das vielleicht helfen kann. 14 Tage durchhalten, um dann zu sehen, ob das neue Medikament hilft oder nicht. Und so ist man in dem Hamsterrad, wo dann Woche für Woche, Monat für Monat vergeht.
Nach der Geburt war Elias circa fünf Wochen im Krankenhaus. Sonntag ist er ins Krankenhaus. Dienstag ist dann die Lunge zusammengebrochen, da musste er reanimiert werden. Donnerstag war ich im Krankenhaus, da wurde er auch reanimiert, da stand ich daneben. Der Start ins Leben war ziemlich heftig. Und dann muss man abwarten, und man wächst in die Situation hinein. Wenn ein Kind schon krank geboren wird oder so etwas zeitig passiert, dann wächst man anders in die Situation, als wenn man an andere Dinge gewöhnt ist, und von heute auf morgen alles anders ist. Das denke ich zumindest.
Ich hatte gar keine Erwartungshaltung mehr. Erstmal ging es darum zu überleben. Ich hatte auch noch zwei andere Kinder. Ich habe damals um 5 Uhr im Krankenhaus angerufen, um 6 Uhr war ich dort und bin bis abends geblieben. In den ersten zwei Jahren waren wir sehr oft im Krankenhaus. Ich war sehr froh, dass meine großen Kinder schon so selbstständig waren. Der Große war schon auf dem Gymnasium, der Mittlere war schon in der vierten Klasse. Da ist schon das Verständnis da. Ich bin Mutter mit Leib und Seele. Wenn ich damals Kinder gehabt hätte, die noch so klein gewesen wären, dass sie jedes Mal gesagt hätten „Mama geh nicht weg“, das hätte mir das Herz zerrissen. Und so war das mit meinen zwei großen Jungs gut möglich, denn die Situation hat sie auch selbstständig gemacht. Die zwei wussten beizeiten, wie man Nudeln kocht oder die Waschmaschine einstellt. Das funktionierte immer gut bei uns.
Ich hatte während der Schwangerschaft das Heilpraktiker-Studium gemacht. Eigentlich sollte Elias zur Welt kommen, danach wollte ich die Zulassung machen und dann sollte es losgehen. Das war natürlich dann alles auf Eis gelegt und irgendwann ganz zur Seite gerückt. Die Zeit vergeht immer sehr schnell, wenn man in so einer Situation hängt. Und dann merkt man, dass die alten Pläne gar nicht mehr passen.
Aber die Ausbildung hat natürlich im Umgang mit Ärzt*innen und mit Krankheiten geholfen. Ich kannte mich also ein bisschen aus, und das führt dann auch zu anderen Gesprächen, die man führt. Man wird anders wahrgenommen, nicht nur als Mutter, sondern als Mutter, die auch ein bisschen was weiß. Und darüber war ich sehr froh.
Seit knapp 16 Jahren bin ich in der Notfallseelsorge. Krisenintervention für den gesamten Landkreis. Uns fordern Polizei und Rettungsdienste an, wenn Menschen einen plötzlichen Schicksalsschlag erleiden, zum Beispiel die Überbringung von Todesnachrichten bei einem tödlichen Verkehrsunfall, oder bei plötzlichem Kindstod. Vor Elias Geburt war ich immer diejenige, die bei einem plötzlichen Kindstod mitgefahren ist. Das war schon eine Berufung für mich. Ja und dann stehen sie mit einem Kind da, was ganz flach atmet und so aussieht, wie die Kinder, die sie vorneweg schon gesehen hatten. Ich bin die ganzen Jahre aktiv im Dienst gefahren, seit Elias bin ich nicht mehr aktiv. Ich bin aber Koordinatorin für die Seelsorge und mache das von zu Hause aus. Natürlich alles ehrenamtlich. Ich bekomme ein Ehrenamts-Geld, aber das ist relativ gering. Aber das Gute dabei ist, ich kann jederzeit sagen, dass es mir zu viel ist. Mittlerweile habe ich es ganz gut verteilt. Ich bin sehr glücklich, dass mein soziales Umfeld mir das ermöglicht, dass ich mein Ehrenamt noch machen kann. In den schweren Zeiten konnte ich zum Beispiel auch mal sagen: „Lasst mich 14 Tage in Ruhe.“ Und dann hat auch keiner angerufen.
2017 hatte Elias zwei große Hüft-OPs mit anschließendem Gips von oben bis unten. Jedes Hüftgelenk wurde in einer extra OP operiert. Und so war 2017 für uns weg wie nichts. In dieser Zeit wurde ich zum Beispiel auch in Ruhe gelassen.
Früher haben unsere Jungs Fußball gespielt. Aber die Verbindung zum Fußball und zum Ort Kitzscher ist geblieben. Deshalb mache ich im Ortsverein noch den Schatzmeister und Vorstandsarbeit. Die Buchhaltung mache ich von zu Hause aus. Alle 14 Tage ist Vorstandssitzung und da bin ich auch dabei. In der Zeit betreut mein Mann Elias.
Ich habe bereits mit 16 Jahren einen Ferienjob gehabt, bei dem ich ein mehrfach schwerstbehindertes Kind betreut habe. Deshalb ist das alles nichts Neues für mich. Der inklusive Kindergarten hatte damals in den Ferien geschlossen, und das Kind brauchte eine Eins-zu-eins-Betreuung im ‚normalen‘ Kindergarten. Das habe ich dann einfach gemacht. Das Kind saß im Rollstuhl. Ich musste es auf die Toilette heben und so weiter. Deshalb hatte ich da nie Berührungsängste. Ich kenne natürlich Eltern, die trauern der Normalität vollkommen hinterher. Aber wenn ich meine Zeit nur mit dem Trauern verschwende, dann entgeht mir so viel anderes. Mein Leben ist vielleicht nicht normal, beziehungsweise bei uns ist normal anders. Man muss sich nur organisieren und das Beste daraus machen. Man muss versuchen, sich ein Leben außerhalb der Pflege zu erhalten, zumindest ab und zu. Damit man auch mal rauskommt. Das kann aber nur funktionieren, wenn das soziale Umfeld stimmt und die Unterstützung da ist. Dafür bin ich auch sehr dankbar, dass das alles für mich möglich gemacht wird. Klar, kann ich mich jetzt nicht spontan mit einer Freundin zum Eis verabreden. Das muss immer alles mit Elias und seinem Tagesablauf passen. Wir müssen immer auf lange Sicht planen, das geht nun mal nicht anders mit einem kranken Kind. Aber so ist es eben, daran gewöhnt man sich.
Wir haben im Monat 100 Stunden Krankenbeobachtung von der Krankenkasse genehmigt bekommen. Um die neue Verordnung kämpfen wir gerade noch. Da gibt es jedes Jahr Spektakel. Wenn ein Kind beatmungspflichtig ist, dann zuckt die Krankenkasse nicht. Aber wenn ein Kind absaugungspflichtig und überwachungspflichtig ist, dann murren sie manchmal. Obwohl es ja nur 100 Stunden im Monat sind. Es geht hier nicht um 24 Stunden am Tag oder zwölf Stunden am Tag. Der Pflegedienst kommt dann stundenweise, vorzugsweise nach meinem Wunschplan.
Pflegedienst ist ein Thema für sich. Wir haben momentan einen Pflegedienst, den wir schon etwas länger haben – Gott sei Dank. Wir sind im Prinzip mit unseren Stunden eine ‚kleine Versorgung‘. Und das lohnt sich oftmals für den Pflegedienst nicht. Wir brauchen ja einen Intensivpflegedienst und keinen normalen Pflegedienst. Und der Intensivpflegedienst macht das nur, wenn hier in der Nähe noch jemand anderes eine Intensivpflege braucht. Ansonsten bekommen wir keinen Pflegedienst. Wir hatten auch schon monatelang gar keinen Pflegedienst. Bei Personalmangel sind wir auch immer die ersten, denen abgesagt wird, wie zum Beispiel heute. Und dann wohnen wir ja schön auf dem Land, da kommen zum Beispiel Leipziger Pflegedienste gar nicht bis hierher. Weil der Bedarf in der Stadt schon so groß ist, dass die das gar nicht nötig haben. Deshalb sind wir schon darauf angewiesen, dass wir das im Notfall unter uns klären. Mein Mann geht arbeiten. Er muss dann, wenn ich wichtige Termine habe, von Arbeit wegbleiben, um Elias zu pflegen. Bei uns ist es tatsächlich so, dass wir nur den Pflegedienst haben, der Elias nimmt. In der Verwandtschaft traut sich das niemand so zu, wie wir das benötigen. Meine Mutter traut sich das nicht zu. Und meine Schwiegereltern haben sich verabschiedet, nachdem Elias ein halbes Jahr alt war und feststand, dass er kein Norm-Kind ist. Die haben gesagt, dass man sich mit sowas nicht auf der Straße sehen lassen kann. Aber wer so reagiert, den braucht man dann auch nicht. Wir sind also zu 100 % auf den Pflegedienst als Entlastung angewiesen.
Zu zweit weggehen ist äußerst selten, maximal zweimal im Jahr. Selbst die großen Kinder haben immer nur ganz kurz auf Elias aufgepasst, wenn ich mal auf Toilette musste. Das liegt vor allem an den epileptischen Anfällen und dass man auch eventuell Notfallmedizin geben muss. Die epileptischen Anfälle sind aber mittlerweile weniger geworden. Früher hatte er manchmal 80 bis 100 Mini-Anfälle pro Stunde, so dass er mit Medikamenten richtig zugedröhnt werden musste. Wir wussten teilweise gar nicht mehr, wie es ihm geht oder ob er Schmerzen hat.
Durch die Hirnschädigung hat er immer unterschwellige kleine Anfälle und keine großen Krampfanfälle, wie man das vielleicht von Epilepsie kennt. Deshalb haben wir verschiedenste Medikamente ausprobiert und geschaut, was funktioniert. Diese vielen kleinen Anfälle stören vor allem auch die Entwicklung, weil das immer wieder das Gehirn in seiner Arbeit unterbricht. Deshalb probiert man verschiedene Medikamente aus und schaut, ob es was bringt. Und das braucht alles seine Zeit. Bei uns kam der Durchbruch dann als Elias THC nehmen konnte, also Cannabis. Er nimmt es in Form von Tropfen. Und seitdem entspannt er sich, weil seine Muskulatur entspannt. Er hat zwar immer noch manchmal eine einschießende Spastik, aber früher war er quasi steif wie ein Brett. THC entspannt auch das Gehirn und hat eine gute Wirkung gegen die Epilepsie. Von einem Arzt haben wir aber nicht die Empfehlung bekommen, THC zu probieren. Es wird aber zum Beispiel bei Multiple-Sklerose-Patienten schon offiziell viele Jahre eingesetzt. THC ist also im Prinzip schon seit Jahren im Gebrauch und das Einsatzgebiet wird auch immer mehr ausgeweitet. Aber dass man auf Rezept Zugang zu THC bekommt, das täuscht. Man bekommt es auf Privatrezept, das heißt, man muss es auch selbst bezahlen. Um es wirklich verschrieben zu bekommen, muss man sich bei den Krankenkassen schon sehr durchsetzen. Und dann müssen sie noch einen Arzt finden, der mit ihnen diesen Schritt geht. Ich konnte damals unsere Neurologin überzeugen, dass wir THC probieren. Wir haben es ein halbes Jahr auf Probe bekommen. Wir hätten sonst keinen anderen Arzt gefunden, der mit uns diesen Weg geht. Einfach weil die Erfahrungen fehlen und dann trauen sich die Ärzt*innen nicht.
Bei Elias hilft das THC nicht nur bei den Krämpfen, sondern es beruhigt auch seinen Magen. Er hat nicht mehr diese Übelkeit und diese Brechattacken. Es ist sogar appetitanregend, so dass Elias auch endlich wieder zugenommen hat. Das waren dann viele Indikationen, die positiv ansprachen, so dass wir nach dem halben Jahr Probe das THC dauerhaft geben durften. Seit letztem Sommer nimmt Elias es nun, und im Prinzip hat es keine Nebenwirkungen. Es ist auch so minimal dosiert, dass er nicht high ist oder so. Für uns ist das ein großer Schritt. Seit er THC nimmt, hat er sich auch weiterentwickelt. Er ist aufmerksamer. Er setzt jetzt auch mehr seinen Willen durch.
Dieses Steif-wie-ein-Brett-Sein und diese extreme Spastik haben wir aber nicht nur durch das THC gelöst, sondern schon vorher, als wir eine Therapie in der Slowakei gemacht haben. Wir sind ins „adeli-Center“ zur Therapie gefahren. Dort gibt es eine neurologisch-physiologische Intensivtherapie. Das mussten wir aber selbst bezahlen. Der ganze Aufenthalt war Stress pur für alle. Elias hatte acht Therapien am Tag und zwei Stunden Physiotherapie. Die Kinder sind fertig am Abend. Die Erwachsenen sind ebenso fertig, weil sie das Kind bei Laune halten wollen. Aber ich kenne niemanden, der im adeli-Center war und ohne Erfolg nach Hause gefahren ist. Wir waren 14 Tage dort. Es waren sehr intensive 14 Tage. Man ist tatsächlich froh, wenn es vorbei ist. Aber der Erfolg gibt uns Recht.
Wir wollen auch wieder hinfahren. Dort wurden seine Krämpfe gelöst und die Übungen dafür wurden mir gezeigt. Die Übungen haben wir dann auch zu Hause gemacht. Uns wurde gesagt, dass man dran bleiben muss, sonst ist beim nächsten Wachstumsschub wieder alles fest. Die Erfolge waren zu sehen, er ist lockerer geworden und beim zweiten Mal, als wir dort waren, ging die Muskelstärkung los. Er konnte seinen Kopf selbst halten. Wir haben dort auch Sauerstofftherapie gemacht und festgestellt, dass sein Gehirn dadurch besser versorgt wird.
Es ist dort ein Rundum-Paket für die Kinder, inklusive Massagen und Packungen, damit sie sich entspannen und Ihre Gelenke nicht überlastet werden. Die 14 Tage kosten ca. 5.000 €. Es lohnt sich, aber man muss natürlich erstmal das Geld haben.
Für Andere etwas zu sammeln, zum Beispiel Spenden, damit habe ich kein Problem. Aber für mich selbst, das liegt mir nicht. Für uns gehen eben leider keine anderen Leute los und suchen uns das Geld. Vielleicht jammere ich auch zu wenig. Es fängt schon bei den Müllgebühren an. Wenn Sie jemanden zu Hause pflegen, haben sie definitiv mehr Müll. Die Windeln, die Betteinlagen. Das ist nicht nur mit Kindern so, die Sie zu Hause pflegen, sondern auch mit älteren Leuten. Sie haben einfach mehr Müll. Es gibt Landkreise, die unterstützen dann die pflegenden Angehörigen, wenn Pflegestufe 2 oder 3 nachgewiesen werden kann. Aber bei uns im Landkreis ist das nicht so. Ich dachte auch früher: Krankenkasse und Kinder, man hat doch alles frei. Bei den gesunden Kindern vielleicht, aber nicht, wenn du ein krankes Kind hast. Überall muss man dazu zahlen - beim Reha-Buggy, beim Autositz, bei den Spezial-Schuhen. Uns steht nur eine Mobilitätshilfe zu. Wenn wir also einen Rollstuhl haben wollen, müssen wir den Reha-Buggy wieder abgeben.
Wir sind ein Fünf-Personen-Haushalt und nur mein Mann verdient Geld. Mein Mann verdient normal, aber immer noch so viel, dass wir bei allen Sozialleistungen nicht berücksichtigt werden. Wir haben für uns nur den Lohn meines Mannes und das Pflegegeld. Natürlich verzichtet man dann auch. Wir hatten die letzten vier Jahre keinen Familienurlaub.
Alle, die kranke Angehörige pflegen, brauchen die Pflegedienste. Es ist auch berechtigt, dass gesagt wird, die Pflegedienste verdienen zu wenig. Aber ich sage auch, die Pflegedienste haben nach Feierabend frei, die haben ihre Freizeit, die können zu Hause abschalten. Den gleichen Job mache ich 24 Stunden am Tag und kann nicht abschalten oder Feierabend machen. Ich bekomme aber nur das Pflegegeld, was bei weitem nicht an das Geld herankommt, was Pflegedienste bekommen. Gott sei Dank haben wir den Pflegedienst und wir sind darauf sehr angewiesen. Aber die pflegenden Angehörigen werden total vergessen. Und das ärgert mich. Es wird vorausgesetzt, dass viele Angehörige pflegen. Es ist für die Pflegekasse eine ehrenamtliche Tätigkeit. Das bekommen sie auch schriftlich. Wir können ja froh sein, dass Pflegekasse wenigstens in meine Rentenkasse einzahlt, mir also Rentenjahre angerechnet werden.
Elias wird zum Beispiel nie in die Schule gehen. Er ist von der Schulpflicht befreit, so dass es da auch für mich keine Entlastung gibt, wo ich sagen kann, dass er drei bis vier Stunden in der Schule ist. Für andere pflegende Angehörige kann das eine Entlastung sein, in der sie vielleicht arbeiten gehen können. Für mich gilt das nicht. Aber selbst pflegende Angehörige, die arbeiten gehen können, sind abhängig von Zusatzleistungen, damit sie ihre Arbeit ausführen können. Und am Ende haben sie genauso viel Geld in der Tasche wie ich. Es ist eine zu große Lücke vorhanden zwischen dem, was Pflegedienste machen und was pflegende Angehörige machen. Denn sie machen den gleichen Job, aber erhalten nicht das gleiche Geld dafür. Diese Lücke ist ungerecht. Ich weiß, was unser Pflegedienst bekommt und man kann das auch im Internet finden. Ein Pflegedienst bekommt für eine 12- bis 24-Stunden-Pflege im Monat 20.000 € bis 30.000 €. Das bekomme ich bei weitem nicht. Es steht auch fest, dass das in unserem Staat ohne die pflegenden Angehörigen überhaupt gar nicht funktionieren würde. Nur, wo bleiben denn die Würdigung und die Anerkennung? Und damit meine ich nicht nur finanzielle Unterstützung. Es steckt die ganze Familie zurück. Ich würde schon ganz gern noch mal mit den Kindern in den Urlaub fahren, bevor sie ausziehen. Wenigstens eine Woche, aber wir können es uns nicht leisten.
Es gibt ja noch nicht einmal viele Pflegeeinrichtungen, wo sie ihr Kind abgeben könnten, wenn sie es wollten. Das ist schon auch ein ländliches Problem. Hier in der Gegend gibt es ein Hospiz, ansonsten haben sie keinerlei Möglichkeiten, ihr Kind zum Beispiel mal in eine Kurzzeitpflege zu geben. Und das macht einen auch so abhängig von Pflegediensten.
Wenn jetzt das neue Gesetz von Herrn Spahn durchkommt, was die häusliche Intensivpflege betrifft, dann bedeutet das für uns: Wenn Elias 18 Jahre alt ist, kommt die Krankenkasse und sagt, er kann in ein Heim, wo er betreut wird. Oder ich sage, mein Kind bleibt zu Hause, dann bekomme ich aber keinen Intensivpflegedienst mehr bezahlt. Dann mache ich das alles selber, bis ich breit bin und nicht mehr kann. Oder ich versuche mein Glück mit einer Einzelfallentscheidung. Häusliche Intensivpflegedienste sind sehr rar. Wenn das Gesetz von Herrn Spahn durchkommt, dann wird es den Pflegediensten noch schwerer gemacht, die häusliche Intensivpflege zu betreiben und dann wird es noch weniger Dienste geben, die so etwas anbieten. Es ist ja jetzt schon schwer, einen Intensivpflegedienst zu finden, der Kinder betreut. Mein aktueller Pflegedienst hatte bis dahin noch kein Kind und ich musste die Werbetrommel rühren, damit sie nicht nein sagen. Aus diesen Gründen habe ich auch gegen dieses Gesetz demonstriert. Der Herr Spahn war damals in Markkleeberg. Ich habe Plakate gemalt und war dort und habe gezeigt, dass ich das nicht gut finde. Das habe ich gemacht, obwohl Elias nicht beatmet wird und er nicht direkt betroffen ist. Aber in zweiter Reihe trifft es uns. Das ist wie eine Kettenreaktion. Der Pool an Intensivpflegediensten ist schon am Austrocknen. Mit dem Gesetz wird er komplett trockengelegt. Und egal, wie gut man zurechtkommt zu Hause, man braucht immer einen Pflegedienst. Denn ohne die Pflegedienste kommt man gar nicht mehr raus. Das hat man jetzt zu Corona-Zeiten gemerkt. Da bin ich dann extra mal auf die Post gefahren, um den Raps blühen zu sehen.
Und was machen dann eigentlich die Krankenkassen und die Sozialämter? Denn das Pflegen in einem Heim ist doch teurer als zu Hause. Wahrscheinlich zählen sie darauf, dass die Angehörigen weiter pflegen und dass es dann gar nichts mehr kostet.
Der Entwurf dieses Gesetzes wird jetzt besprochen. Leider kommt die Problematik aber in der Gesellschaft nicht richtig an, weil einfach zu viel Unwissenheit herrscht. Es betrifft eben doch irgendwie eine Minderheit. Und diese Minderheit ist schon so beschäftigt, dass sie kaum Kraft hat zu kämpfen.
Elias braucht spezielle Trinkflaschen. Eine solche Flasche kostet bis zu 30 Euro. Und von so einer Trinkflasche braucht man dann nicht nur eine. Das Beantragen der ersten Flasche hat ein halbes Jahr gedauert bei der Krankenkasse. Und ich musste dann noch 5 Euro dazu bezahlen. Also sparen Sie sich den ganzen Aufwand und kaufen sie einfach auf eigene Kosten. Denn dieses ewige Kämpfen macht müde. Das stetige Kämpfen und stetige Widerspruch einlegen, das ist extrem anstrengend. Oft hat man dann einfach keine Kraft mehr, jedes Mal das Gleiche, jedes Mal wieder kämpfen. Da braucht man dann manchmal jemanden, der einen in den Hintern tritt. So jemanden habe ich bei der Seelsorge.
Jedes Jahr lassen sich die Krankenkassen was Neues einfallen, und dann kommt der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) und guckt und sagt, dass es nicht notwendig wäre.
Auch wenn ich eigentlich gar keine Zeit habe, nehme ich sie mir seit Anfang des Jahres ab und zu und male wieder. Bilder mit LED-Beleuchtung oder mal etwas Ausgefallenes, so wie die Federn. Es lenkt ab und der Erlös geht in Elias‘ Spendenbüchse für Therapien, die die Krankenkasse nicht zahlt.
Inklusionen und keine Benachteiligung ist bei mir nicht wirklich richtig. Ich habe schon das Gefühl, dass es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden ist. Weil es bei den Krankenkassen nur ums Geld geht. Es liegt natürlich auch daran, dass, je älter Elias wird, er immer speziellere Dinge braucht. Es gibt viele Dinge, die würden Elias helfen. Aber wenn sie keine Hilfsmittelnummer haben, dann funktioniert es bei der Krankenkasse sowieso nicht. Sie kriegen immer nur ein Mindestmaß an Unterstützung. Nur das was mindestens notwendig ist, wird bezahlt und mehr nicht. Ich kann mich nicht dran erinnern, wann wir das letzte Mal ein Hilfsmittel einfach so bekommen haben, ohne permanentes Nachfragen. Ohne Widerspruch geht nichts. Und ich kann nur jeder betroffenen Person empfehlen, beizeiten eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen.
Dass Pflege arm macht, ist nicht nur so daher gesagt, es ist wirklich so. Ich möchte mit dem Interview erreichen, dass mehr pflegende Angehörige aufstehen und sich zeigen und sagen, was sie brauchen. Mir persönlich geht es gut, das kann ich trotzdem sagen. Wir lachen viel, und wir schätzen die kleinen Dinge des Lebens viel mehr. Es gibt aber viele Probleme und viele Hindernisse, die gelöst werden müssen. Das wird aber nur klappen, wenn sich pflegende Angehörige mehr zeigen und sagen, was sie brauchen. Wenn man den Pfleger*innen sagt, sie machen einen tollen Job, dann soll man die pflegenden Angehörigen nicht vergessen, denn die machen den gleichen Job.
Mehr über Elias finden Sie auf Facebook: Elias seine Welt
Interview geführt am: 28. Mai 2020
Hallo!
Ich bin Susann Lawrenz-Wuttke aus Bad Lausick.
Ich bin pflegende Angehörige.
Unser Sohn Elias ist 7 Jahre alt.
Seit seiner Geburt ist er mehrfach schwerst-behindert.
Er kam gesund zur Welt.
Aber 48 Stunden nach der Geburt hatte Elias eine Blut-Vergiftung.
In den ersten Monaten hat er sich normal entwickelt.
Das konnten wir uns nicht erklären.
Aber wir haben uns einfach gefreut.
Mit 5 Monaten hat er dann Epilepsie bekommen.
Die Epilepsie war sehr stark.
Und so ist er auf dem Stand von einem 5 Monate alten Baby geblieben.
Er ist vollkommen pflege-bedürftig.
Ich möchte deshalb nicht traurig sein.
Denn dann verpasse ich die schönen Sachen im Leben.
Für unsere Familie ist das Leben mit einem pflege-bedürftigen Kind normal.
Für uns ist normal eben anders.
Wir versuchen, das Beste aus unserem Leben zu machen.
Bekommen wir Unterstützung?
Wir haben 100 Stunden Kranken-Beobachtung pro Monat.
Kranken-Beobachtung bedeutet:
Pflege-Kräfte sind bei unserem Sohn.
Und beobachten ihn.
Wenn es nötig ist:
Dann saugen sie seinen Speichel ab.
Die Kranken-Kasse bezahlt die 100 Stunden.
Aber wir müssen jedes Jahr wieder um die Bezahlung kämpfen.
Wenn ein Kind beatmet werden muss:
Dann gibt es keine Probleme mit der Kranken-Kasse.
Aber in unserem Fall gibt es immer Probleme mit der Kranken-Kasse.
Alle pflegenden Angehörigen brauchen die Pflege-Dienste.
Die Pflege-Dienste bekommen zwar wenig Geld.
Aber die Pflege-Dienste haben auch mal Freizeit.
Sie können mal an was anderes denken.
Und einfach ihr Leben genießen.
Ich mache die gleiche Arbeit wie die Pflege-Dienste.
Aber ich bin 24 Stunden am Tag beschäftigt.
Ich habe keine Freizeit.
Ich kann nicht mal an was anderes denken.
Und einfach mein Leben genießen.
Dabei bekomme ich nur das Pflege-Geld.
Es ist viel weniger als das, was die Pflege-Dienste bekommen.
Gott sei Dank haben wir den Pflege-Dienst.
Aber die pflegenden Angehörigen werden total vergessen.
Ich möchte, dass alle wissen:
Pflege macht arm.
Auch andere pflegende Angehörige sollen sich zeigen.
Und sagen, was sie brauchen.
Deshalb führe ich dieses Gespräch.
Trotzdem kann ich sagen:
Mir persönlich geht es gut.
Wir lachen viel.
Und wir schätzen die kleinen Dinge im Leben viel mehr.
Es gibt aber viele Probleme, die gelöst werden müssen.
Das Gespräch war am 28. Mai 2020.
Susann Lawrenz-Wuttke
Kurztext in Gebärdensprache (das Video besitzt keinen Ton und keinen Untertitel):
Susann Lawrenz-Wuttke
Bildbeschreibung und Einsprache des Kurztextes: